Tagesgefährten (aus dem PF/PE-Schreibwettbewerb)




Eure eigenen Geschichten!

Tagesgefährten (aus dem PF/PE-Schreibwettbewerb)

Beitragvon TCCPhreak » 14. November 2009 21:40

Mit dieser Geschichte habe ich am PF/PE-Schreibwettbewerb (siehe ) teilgenommen.
Mehr Details dazu findet man dort; insbesondere war der Anfang der Geschichte vorgegeben.

Mir ist klar, dass die Geschichte im Forum etwas unschön zu lesen ist. Daher findet man hier () auch eine augenfreundliche Version, die auch direkt zum Druck geeignet ist.

--- $Revision: 31 $

Tagesgefährten

Noch völlig verschlafen schlurfte ich in die Küche. Aus dem Hängeschränkchen nahm ich mir eine Packung Cornflakes, griff im Kühlschrank nach der nächstbesten Milchtüte und stellte sie auf den Tisch. Nach einem weiteren kurzen Wühlen in den Schränken und Schubladen gesellte sich eine Müslischale samt Löffel hinzu. Ich ließ mich auf einen der Stühle um den Tisch sacken. Wieso nur begann der Morgen immer schon so früh?
Ich riss die Cornflakespackung auf und nahm beim Füllen der Schale verschwommen wahr, dass auf dem Karton groß und breit mit verschiedenen Spielzeugfiguren geworben wurde. Es waren kleine Plastikgestalten in den verschiedensten Farben: Rot, Gelb, Blau und Grün.
Dann schüttete ich etwas von der Milch über die Frühstücksflocken. Auf einmal ertönte ein lautes und wütendes Geräusch, was ich als: „Heh! Was soll das?“ deutete.
Vor Schreck hätte ich beinahe die Schüssel umgeworfen und Milch über den halben Küchentisch verteilt. Ich blinzelte verwundert, blickte in die Schale und stellte fest, dass ich wohl immer noch träumte, denn das, was ich sah, konnte einfach nicht real sein.

Inmitten von dem, was ich mir als hastiges Frühstück geplant hatte, schwamm ein kleines Wesen. Zumindest versuchte es, zu schwimmen. Es hatte dabei nur teilweise Erfolg; hatte Mühe, sich über Wasser – über Milch – zu halten und hangelte sich sich eher vorsichtig von einem Flake zum Flake zum nächsten. Es sah irgendwie ganz drollig aus, und ich sah einen Moment belustigt zu. Dann erinnerte ich mich daran, dass das ganze Spektakel in meinem Frühstück statt fand und nach meiner Ansicht der Realität völlig unmöglich war.

"Was machst du da?" - "Wer bist du überhaupt?"
Ich dachte einen Moment nach und fügte dann hinzu:
"Was bist du überhaupt?" - erst danach fiel mir auf, wie dumm sich diese Fragenfolge anhörte.

Das kleine Wesen hatte zwischenzeitlich Halt an einem Flake gefunden, der sich nicht unmittelbar mit Milch vollsog und unter ihr versank, und blickte zu mir hinauf. Wenn Blicke töten könnten, wäre ich in diesem Moment wahrscheinlich sofort tot umgefallen.
"Macht dir das auch noch Spaß, mir zuzugucken? Hilf' mir gefälligst mal!"
In dem Moment verschwand dann auch dieser Flake unter der Oberfläche und das Wesen strampelte sich fluchend zum nächstbesten Halt vorwärts.
Bevor ich darüber nachdachte, dass ich da einem eingebildeten Wesen inmitten meines Frühstücks gehorchte, griff ich zum Löffel und fischte das Wesen aus der Müslischüssel. Es hielt sich am Rand fest und auch als es endlich festen Boden unter den Füßen hatte, wirkte es noch ein wenig wacklig auf den Beinen.
Was es nicht davon abhielt, weiter auf mich einzuschimpfen - "Was denkst du dir dabei? 'Ein paar Tropfen Wasser!' - nicht 'in Milch ertränken'!"
Langsam wurde es mir doch zuviel. Es war viel zu früh am Morgen; ich war immer noch nicht wirklich wach; sah Dinge, die einfach nicht sein konnten und sollte mich jetzt auch noch böse beschimpfen lassen? "Wovon redest du eigentlich? Und was machst du in meinem Frühstück?" - Es wurde etwas aggressiver, als ich es wollte und das Wesen schrak leicht zusammen.

In diesem Moment wurde mit klar, dass ich es hier mit einem weiblichen Wesen zu tun hatte. Es hätte mir schon vorher auffallen sollen – ihre Stimme und ihre Tirade waren eindeutige Zeichen - doch erst dieser verletzt wirkende Blick machte mich wirklich darauf aufmerksam. Außerhalb der Schüssel bewegte sie sich mit einer Grazie, die ich keinem männlichen Wesen zuschreiben könnte. Natürlich war das nicht zu erkennen, als sie noch in der Milch strampelte.

"Du hast dir die Verpackung nicht durchgelesen, oder?", in ihrer Stimme klang immer noch ein gewisser Vorwurf mit, aber ich hatte nicht mehr das Gefühl, dass sie mich sofort umbringen wollte.
Zudem hatte sie Recht. Wer liest schon die Verpackungen von seinen Cornflakes? Hätte ich mal machen sollen.
Anstelle einer Antwort nahm ich die Packung zur Hand und versuchte, durch meine Müdigkeit hindurch die Buchstaben irgendwie Sinn ergeben zu lassen.

Tatsächlich war es so, dass als Werbeaktion in jeder Schachtel eine Plastikfigur zu finden sein sollte. Als ich die kruden Abbildungen auf der Packung mit der Elfe aus meinem Frühstück – sie saß inzwischen im Schneidersitz auf dem Tisch - verglich, konnte ich aber keine großen Ähnlichkeiten feststellen.
Sie bemerkte den Vergleich - "Lies das Kleingedruckte!"

Die Aussage im Kleingedruckten brachte dann mehr Licht ins Dunkel. In einigen Schachteln – ein genauer Prozentsatz wurde nicht genannt – befand sich statt der billigen Plastikfigur (natürlich nannten sie es es nicht "billige Plastikfigur") eine Art Glücksbringer – ein Gefährte für den Tag. Aktiviert werden sollte er durch ein paar Tropfen Wasser – wie sie es schon gesagt hatte.

Ich stellte die Packung zur Seite und wandte mich wieder dem Wesen zu, welches laut der Beschreibung mein Glücksbringer werden sollte. Ich versuchte, ernst, ehrlich und nicht böse zu klingen, "Okay, es tut mir Leid, dass ich dich mit Milch überschüttet habe. Ich hab nicht damit gerechnet, dass ich jemanden wie dich in meinen Cornflakes haben würde." Ich meinte es ehrlich; wenn sie mich von nun an als Glücksbringer begleiten sollte, war es wohl angemessen, sich mit ihr zu verstehen.

Sie sah mich einen Moment an und verkündete fast formell, "Entschuldigung angenommen. Können wir das jetzt mit dem Wasser machen? Nichts gegen Milch, aber Wasser kann ich einfacher loswerden."

Es kam mir ein wenig seltsam vor, sie mit dem Löffel in die Spüle zu stellen und unter dem Wasserhahn duschen zu lassen, aber es schien ihr absolut nichts auszumachen. In der Tat konnte sie das Wasser schnell "loswerden". Sie blinzelte einmal kurz und auf einmal war kein Wassertropfen mehr zu sehen.

"Und wie funktioniert das jetzt? Steck' ich dich in die Jackentasche und nehme dich mit zur Schule?" - "sonst hätte die ganze Aktion ja nicht viel Sinn." Ihre freche Art fing an, mir zu gefallen.

"Aber willst du nicht erst zu Ende frühstücken? 'Das Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit des Tages!'", sie schien das wie aus irgendeinem Elfen-Regelwerksbuch zu zitieren.
Ich blickte zu dem, was vor ein paar Minuten noch mein Frühstück hätte werden können. Nachdem sie darin beinahe ihr Seepferdchen gemacht hatte, war ich nicht mehr sicher, ob ich das noch essen wollte.
Sie muss meine Gedanken gelesen – oder erraten – haben, "Du hast Recht, das wäre schon ein wenig komisch. Ich denke mal, so lange du das durch deine Pausenbrote ersetzt, geht das schon in Ordnung." Ich zog es vor, nicht darauf zu antworten, doch als ich kurz danach die Schüssel ausspülte und in den Schrank zurückstellte, nahm ich mir angesichts meines leicht knurrenden Magens fest vor, in Zukunft immer schon am Abend vorher Brote vorzubereiten - und morgens etwas genauer auf mein Frühstück zu achten.


Die Fahrt zur Schule war eher ereignislos – ein paar Minuten Laufen, die Busfahrt und dann an der Schule wieder ein paar Minuten Laufen.
Meine kleine Elfe hielt es allerdings während der Fahrt nicht in der Tasche aus und wollte stattdessen die Welt vom Fenster aus beobachten. Sie hielt gar nicht mal still, als ich sie auf meiner Handfläche hochhob. Es kribbelte wie damals, als unser Zwerghamster darüber tapste. Und sie war federleicht. Ich hatte das Gefühl, als hätte ich gar nichts in der Hand und doch war ich ganz vorsichtig, damit sie sich nicht verletzte.
"Hast du eigentlich keine Flügelchen für sowas?", sie sah bereits neugierig aus dem Fenster, als mir die Frage einfiel und sie beantwortete sie mit einem schlichten "nö!" ohne dass es auch nur ansatzweise so klang, als hätte sie da einen Verlust zu betrauern oder gar irgendetwas zu vermissen.
Ich hatte Angst, dass sie dort jemand sieht und komische Fragen stellt – der Bus war gut gefüllt. Sie meinte aber, dass ich mir da gar keine Sorgen machen sollte. Offenbar war sie für die meisten Leute einfach nur unsichtbar. Ein paar Haltestellen vor der Schule musste sie dann aber doch ihren Platz räumen, weil ich meinen geräumt habe – eine alte Dame war um die Uhrzeit schon unterwegs und sonst wäre halt kein Sitzplatz frei geworden.
Die letzten Schritte zur Schule setzte sie sich auf meine Schulter. Sie meinte, sie hätte dort einen besseren Ausblick.

In der ersten Schulstunde war sie verschwunden. Sie sagte, sie wolle sich ein wenig umschauen und ich bräuchte ihre Hilfe ja eh erstmal nicht. Ich bin mir sicher, dass ich sie während der Stunde mit anderen Wesen ihrer Art zusammen gesehen habe. Wahrscheinlich hatten ein paar meiner Klassenkameraden den gleichen Geschmack in Sachen Cornflakes und heute ähnliches Glück, aber das ist so etwas, was man seine Klassenkameraden einfach nicht fragt. "Sag mal, hattest du heute morgen auch eine kleine Elfe in deinem Frühstück?" - Nein! Ganz sicher nicht!

Die ersten beiden Schulstunden kam ich sogar ganz gut mit - besser als sonst. Eigentlich dachte ich, ich wäre mehr abgelenkt, weil ich an die Elfe denken müsste, aber wenn mich der Lehrer aus meinen Gedanken riss, wusste ich immer die Antwort. Ab und an meldete ich mich sogar selbst; ich glaube, in diesen Stunden habe ich Pluspunkte gesammelt - offenbar brachte mir mein Glücksbringer auch dann Vorteile, wenn er unterwegs war.

In der großen Pause war meine kleine Elfe dann auch wieder da und beobachtete das Leben auf dem Schulhof, als hätte sie noch nie etwas derartiges gesehen. Ein Mitschüler sprach mich an, ob er sich meine Hausaufgaben für die letzte Stunde mal ansehen könnte. Ich wusste, dass er zu Hause kaum Möglichkeiten hatte, etwas für den Unterricht zu tun - seine Eltern hielten nicht viel von der Schule - und gab ihm mein Heft. Er versprach, es nicht abzuschreiben, sondern nur als Inspiration zu nehmen und verschwand schnell in der "verspätete-Hausaufgaben-Ecke".

Dann sah ich Alina, ein Mädchen aus meiner Parallelklasse, und zum zweiten Mal an diesem Morgen hatte ich das Gefühl, dass meine Elfe Gedanken lesen konnte.
"Das ist sie?", meinte sie zu mir, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt.
"Was meinst du?", ich mimte den Unwissenden.
"Das Mädchen", sie holte Luft, "Das Mädchen, um das sich deine Gedanken drehen; das Mädchen, was dir den Schlaf raubt; das Mädchen, das du zu gerne mal richtig ansprechen und näher kennenlernen möchtest. Und dir fehlt nur der Mut und du weißt nicht, wie sie reagieren würde", erneut hatte ich das Gefühl, sie würde da einen Paragraphen aus einem Lehrbuch herunterbeten.
"Liest du meine Gedanken?" - "Nein, ich lese Dich!", erneut kam ihre freche Seite zum Vorschein. Ich glaube immer noch, dass ich einfach nur einen Moment zu lange zu Alina gesehen habe oder zu plötzlich und zu lange stehen blieb. Oder sie hatte einfach eine Art Elfen-Sinn für sowas.

Es hatte keinen Sinn, es zu leugnen und so sagte ich nichts. "Du solltest sie ansprechen", fuhr sie fort.
"Kannst du sie auch lesen? Kannst du sagen, was passiert, wenn ich mit ihr rede?". Bisher wusste ich eh nicht so ganz, welche besonderen Fähigkeiten sie für ihre Aufgabe mitbrachte.
"Eigentlich nicht", antwortete sie kleinlaut, "aber ich schau mal, was sich tun lässt." - und mit diesen Worten verschwand sie dann auch wieder und ließ mich auf dem Schulhof allein.


Nach der Pause war dann die große Klassenarbeit - Mathe. Ich hasse Mathe. Ich kam zwar bisher gerade noch so mit, dass es an der Grenze zu mangelhaft nur kratzte, aber bei diesem Thema war ich mir sicher, dass es mir das Genick brechen würde. Es war schon in den Hausaufgaben immer so: Ich konnte sie nicht. Ich kam nicht auf die zündende Idee. Wenn ich später die Lösung sah, machte sie vollkommen Sinn und ich konnte sie nachvollziehen. Wenn ich den Ansatz erstmal hatte, kam ich schnell durch.
Ich habe das eine oder andere Vorrechnen damit überlebt, dass ich mich an der Tafel etwas tollpatschig anstellte, bis die Lehrerin mehr oder weniger versehentlich den richtigen Hinweis gab und ich den Rest der Aufgabe aus dem Stegreif schaffen konnte. Sie glaubte dann, ich hätte die Hausaufgaben gemacht, mich gut vorbereitet und nicht einfach nur Unsinn auf meinem Zettel gehabt.
Aber das war schließlich eine Klassenarbeit und hier konnte ich kaum erwarten, dass mir meine Lehrerin oder sonst jemand den Grundstein zu den Aufgaben liefern würde.

So saß ich dann auch kurz nach Beginn vor einem Aufgabenzettel, der mir keine Chance gab, vernünftig irgendwo anzufangen, und einem selbstbeschriebenen Schmierzettel, auf dem einige Ansätze offensichtlich überall hin führten - nur nicht zu einer Lösung, die Sinn machte. Im Notfall hätte ich halt diese Ansätze abgegeben und gehofft, dass ich damit zumindest die Mindestpunktzahl schaffen würde, aber eigentlich sah ich mich schon eine durchgängig rot angemarkerte Klassenarbeit meinen Eltern vorlegen.

Dann war sie wieder da - meine kleine Elfe - kletterte erst auf den Stuhl und schließlich auf den Tisch - ohne sich auch nur Gedanken darum zu machen, dass meiner Lehrerin der Anblick missfallen könnte.
Zumindest blieb sie still. Sie sah sich meine Notizen an, holte dann einen kleinen Stift aus ihrer Tasche und schrieb dann daneben, "Sollten Abgaben nicht anders aussehen?". Ihre Schrift verschwand, kaum dass ich sie gelesen hatte. Ich zeichnete ein trauriges Gesicht auf das Papier und sie sah mir einen Moment in die Augen.
Schließlich sah sie sich im Raum um, zeigte auf unseren Mathestreber und schrieb dann weiter, "Sitzt abseits, weil er gut ist und damit keiner abschreiben kann?"
Abermals verblasste und verschwand die Schrift, ich nickte, und abermals sah sie mir in die Augen, diesmal länger.
Schließlich lächelte sie, kraxelte Tisch und Stuhl wieder herunter und dann meinte ich, sie über den Boden huschen zu sehen.
Der Anblick machte mir Mut und auf einmal kam mir für eine Aufgabe eine neue Idee. Ich verfolgte diese Idee für einen Moment. Als meine Elfe wieder zu mir zurückkehrte, hatte ich eine Lösung fertig, bei der das Haus eine Breite von weniger als 3 Kilometern und dennoch mehr als 20 Zentimetern hatte - meine vorherigen Ergebnisse hatte ich jeweils an diesem Punkt verworfen..
Sie sah sich zuerst mein Ergebnis an und nickte mir dann zufrieden zu, so unmerklich, dass die Lehrerin es nicht bemerkt hätte - wenn sie das kleine Wesen auf meinem Tisch überhaupt hätte sehen können.
Den Stift in der Hand lief sie weiter zum Aufgabenzettel und fing an, kleine Symbole neben die Aufgaben zu schreiben. Sie sahen sehr grob und unbeholfen aus, so als hätte meine Elfe noch nie die mathematischen Zeichen gesehen und würde sie nun nach Erinnerung und nicht nach Sinn nachzeichnen. Aber sie ergaben Sinn. Ich übernahm sie hastig auf meine Notizen, in ordentlicher Notation und begleitet von offensichtlicher Zustimmung, und schließlich verblassten die unförmigen Skizzen auch wieder.

Obwohl meine kleine Freundin scheinbar wenig Ahnung von Schulmathematik hatte, hatte sie mir nur Ansätze geliefert; gerade genug, um auf den richtigen Weg zu kommen und die zündenden Schritte selbst zu finden. Es wirkte nicht wie Zufall und Ich vermutete, dass sie doch weitaus mehr wusste, als die zeigte.
Doch viel Zeit für diese Gedanken hatte ich in diesem Moment nicht, ich hatte mit meinen Fehlversuchen zu Beginn schon wertvolle Zeit verloren. Ich machte mich an die verbleibenden Aufgaben und dank der Anmerkungen fand ich überall den richtigen Anfang; konnte sehen, wo ich vorher meine Fehler gemacht hatte und hatte am Ende meine Zeit gut wieder aufgeholt. Die letzten fünf Minuten verbrachte ich damit, nochmal über die komplette Abgabe drüber zu lesen und stellenweise die Form auszubessern.
Mathemagie kann richtig schön sein!

Das Einsammeln zum Ende der Arbeit dauerte etwas länger und viel war von der zweiten großen Pause nicht mehr übrig, als wir endlich auf den Schulhof trotteten.
"Danke! Du hast mir eben echt das Leben gerettet", flüsterte ich meiner Gefährtin - sie saß wieder auf meiner Schulter - leise zu.
"Nicht der Rede wert", sie zeigte sich unbeeindruckt, "Du hast doch hinterher alles alleine gemacht."
Ich sah das nicht so, "Echt, ohne dich hätte ich das als mangelhaft nach Hause gebracht. Jetzt habe vielleicht sogar Chancen auf ein gutes Ergebnis."
"Wenn du meinst..", ihre Stimme hatte wieder diesen frechen Klang, "dann schuldest du mir was!"
Ich war zu allem bereit, "Woran hast du da gedacht?"
Sie blickte in eine Richtung und ich sah, wohin sie guckte. Alina unterhielt sich mit ein paar Freundinnen.
"Sprich sie an!", erklang es fordernd von meiner Schulter.
"Das schulde ich dir jetzt? Kannst du mir denn jetzt wenigstens mehr dazu sagen, was sie denken und was sie antworten würde?"
"Darf ich nicht", es klang eher so, als ob sie nicht wollte, "Schweigepflicht. Aber sprich sie einfach an!"
Ich druckste noch ein wenig herum - warum müssen Mädchen eigentlich immer in einer Traube von Freundinnen stehen? - und vielleicht hätte ich sie wirklich angesprochen, aber der Schulgong verkündete das Ende des Pause und sie huschte in eine andere Richtung davon.


Einige meiner Mitschüler klagten darüber, dass sie nach dieser schweren Mathearbeit "völlig kaputt" wären und schließlich ließ sich unser Lehrpersonal für diese Stunde dazu bequatschen, den Lehrplan etwas aus den Augen zu verlieren und selbige Stunde etwas lockerer zu gestalten. Mir war das ganz recht und auch meiner Gefährtin sah ich an, dass ihr das lieber war, als langweiligen Schulstoff miterleben zu müssen.

Erst in der letzte Stunde kehrten wir zum Gewohnheitsgeschäft zurück, schließlich waren da noch Hausaufgaben zu besprechen. Mein Heft hatte ich kurz vorher unauffällig zurückbekommen und ich war nicht schlecht überrascht, als mein Mitschüler aus der ersten Pause an die Tafel gebeten wurde. Er hatte tatsächlich mehrere Seiten dazu vorbereitet - eine beeindruckende Leistung, wenn man bedenkt, dass er erst im Angesicht der drohenden Mathearbeit damit begonnen hatte.
Vollkommen überwältigt war ich dann aber, als er erstmal mit seinem Vortrag begann. "Inspiration" war genau das richtige Wort dafür; es waren zwar noch die ursprünglichen Ideen aus meiner Abgabe zu entdecken, aber er hatte sie weiter ausgeführt und fortgesetzt - bis hin zu Punkten, zu denen ich wahrscheinlich nie gekommen wären. Naja, vielleicht hätte ich sie irgendwann erreicht - möglicherweise mit einer Investition von einer Woche Arbeit mehr auf diese einfache Hausaufgabe.

Er bekam deutliches Lob und eine gute Note für die Hausaufgabe und ich war fast ein wenig neidisch - aber nur fast, er hatte sich das ja verdient und ich gönnte es ihm. Ich fragte mich, ob es unverschämt wäre, ihn mal einzuladen und zusammen Hausaufgaben zu machen. Schließlich kritzelte ich die Frage auf einen Schmierzettel und wartete auf eine Antwort meiner Gefährtin.
Sie ließ nicht lange auf sich warten, "Frag ihn einfach!", sie war wohl immer sehr direkt, "wenn er nicht auch Vorteile davon hätte, würde er ablehnen."

Es haben noch ein paar andere ihre Essays vorgelesen, aber niemand kam an den ersten Vortrag heran.
Schließlich erlöste uns der Gong von dem Schultag und wir sattelten unsere Taschen. Vor der Schule sah ich erneut Alina und blieb unwillkürlich stehen.
Das Wesen auf meiner Schulter musste gar nichts sagen. Diesmal hatte ich das Gefühl, ihre Gedanken lesen zu können.
"Und du meinst,"... sie unterbrach mich sofort, "Kennst du diese Weisheit? 'Lebe jeden Tag, als ob es dein letzter wäre'", sang sie wieder wie aus dem Lehrbuch - "denn irgendwann wird es dein letzter sein", setzte ich fort.
"Genau!", sie blinzelte und wenn sie mir doch nur gesagt hätte, dass Alina ein ähnliches Wesen besaß und sie sich in der Pause kurzgeschlossen hatten... Wenn sie so etwas in der Richtung behauptet hätte, wäre alles soviel einfacher gewesen.

"Hallo Alina!", ich weiß nicht, wessen Füße mich zu ihr gebracht haben - meine eigenen können es nicht gewesen sein.
"Hedu!", sie lächelte mich an. Wenn sie nicht so gelächelt hätte und ich ihre Sommersprossen dabei nicht so deutlich bemerkt hätte - vielleicht hätte ich nur nach der Uhrzeit gefragt oder irgendeinen anderen Vorwand gefunden, um schnell wieder zu verschwinden.
"Ich wollte dich was fragen." Ich hatte das Gefühl, dass mein Kopf heiß und rot wurde und ich begann zu schwitzen und ich hoffte, dass sie es nicht bemerken würde.
"Worum geht's?", sie wirkte nicht abweisend, sie wirkte nicht überrascht, sie wirkte freundlich und erwartungsvoll - fast so, als wäre sie schon informiert gewesen und hätte nur darauf gewartet, dass ich es anspreche.
In diesem Moment wurde mir bewusst, dass an meinem Körper zwei Arme hingen und daran zwei Hände und dass diese Hände sicherlich bei vielen Dingen hilfreich sind, aber bei einer Tätigkeit wie "Mädchen ansprechen" keinen Zweck haben und nur im Weg sind und was macht man dann damit eigentlich?
"Ich wollte dich fragen, ob du vielleicht...", es klang komisch und ich begann erneut, "Hättest du Lust,...", und wieder klang es falsch, "Weißt du, ich würde gerne..."


"Es ist kein Date! Es ist nur ein Kinobesuch. Es sind nur wir zwei, aber wir sind nur Schulkollegen - nicht, dass wir vorher schon viel gesprochen hätten. Ich werde die halbe Stunde vorher am Spiegel verbringen und zweifeln und sie wird das gleiche tun. Wir werden zu zweit im dunklen Kino sitzen und es wird ein romantischer Film sein, aber es ist kein Date!", sie mokierte sich über meine Bezeichnung. Es schien ihr Spaß zu machen. In diesem Moment hatte sie mehr Ähnlichkeit mit einem kleinen Teufelchen als mit einem Glücksbringer.
"Es ist kein romantischer Film. Es ist einfach nur.. ein Film. Mit romantischen Elementen - okay - aber kein romantischer Film", mir schwammen die Felle weg und zu den anderen Punkten wusste ich erst gar nichts zu sagen, "Es ist kein Date!".
Sie kletterte derweil in meinem Bücherregal herum. "Wo ist dein Wörterbuch? Wir sollten das Wort 'Date' daraus streichen, wenn doch eh niemand Dates hat und niemand das Wort benutzt."
"Du verstehst das nicht!", ich blickte von meinen Hausaufgaben hoch. Es war ihr zuzutrauen, dass sie tatsächlich mein Wörterbuch abwandeln würde. "Ein 'Filmbesuch' mit einer Kollegin ist einfach etwas völlig anderes." - "Es ist nicht so ernst. Ein 'Date' ist verbindlicher und sagt aus, dass man mehr will - und verletzt werden kann. Aber im Kern ist es das Gleiche.", sie verstand sehr wohl.
"Hörst du eigentlich irgendwann auf, mir ständig aus meinem Kopf vorzulesen?", ich hatte nicht gemerkt, dass sie schon wieder zitiert hatte.
"Übrigens: Zweite Reihe von oben, lass mich dir doch helfen!", sie turnte derart abenteuerlich zwischen den Büchern umher, dass ich sie schon mehrfach fast abstürzen sah. Ich nahm das Buch aus dem Regal.
Sie schmollte, "gerade, wo ich es fast hatte!", ließ sich dann aber doch widerstandslos zum Tisch tragen. Dort blätterte ich das Buch in der Nähe von 'd' auf und wartete, ob sie ihre Drohung durchsetzen würde.
Sie blätterte genüsslich die Seiten durch. "Na wenn es nur ein Kinobesuch ist, dann müsstest du ja nicht so nervös sein - und der leichte Rot-Ton in deinem Gesicht hat gar nichts zu bedeuten.", ich sagte nichts und sie fuhr fort, "Wie hast du dir das denn dann vorgestellt? Ihr sitzt im Kino, regungslos nebeneinander, jeder mit eigenem Popcorn, damit sich eure Hände nicht berühren können, schaut einfach nur den Film und trennt euch dann hinterher auf dem Platz vorm Kino?"
Für mich war dieser Punkt noch ein großes, schwarzes Loch. "Ich weiß es nicht. Ich hoffe, dass sich das dann alles irgendwie ergibt, ohne dass ich da vorher was planen muss."
Jetzt sah sie vom Wörterbuch auf. Offenbar hatte ich endlich gesagt, was sie hören wollte.
Ihr Blick war nicht mehr frech, sondern nur freundlich und ernst, "Sei einfach du selbst. Das kannst du am Besten. Verstell' dich einfach nicht."
Sie hatte die richtige Seite gefunden, aber sie strich das Wort nicht durch.


Als ich zu Bett ging, lag sie auf meinem Kopfkissen. Sie sah bezaubernd aus; es war, als würde sie ein wenig leuchten.
Ich hatte aber auch das Gefühl, sie wäre ein wenig unruhig und es schien an mir, das Gespräch zu eröffnen.
"Weißt du, ich bin echt froh, dass ich dich gefunden habe." Das Lob zeigte Wirkung, sie leuchtete ein wenig heller. "Ich hoffe du bist mir nicht mehr böse wegen der Sache mit der Milch." - "Vergeben und vergessen", versicherte sie.
"Du wirst morgen doch im Kino dabei sein, oder? Ich weiß nicht, wie ich das sonst schaffen könnte."
"Nein.", sie sprach es aus, "ich werde morgen nicht mehr da sein."
"Wie meinst du das?", die Endgültigkeit, mir der sie es sagte, schreckte mich auf.
"Ich bin nur einen Tag hier. So steht es doch auch auf der Packung. Und dieser Tag ist bald vorbei." - "Wieso hast du das nicht vorher gesagt?" - "Wozu? Damit du den Tag 'voll ausnutzt'?". Ich dachte über ihre Worte nach. Hätte ich den Tag anders genutzt? Hätte ich versucht, mehr über ihre Fähigkeiten zu erfahren und mehr davon für mich zu nutzen? Mir wurde klar, dass ich von diesem Tag schon mehr bekommen hatte, als ich es je hätte erwarten können und es wäre gierig gewesen, da mehr zu fordern. Wenn da nur diese eine Sache nicht wäre..
"Du meinst, dass ich das mit Alina schaffe?" - "Ich weiß es!", sie betonte das Verb. "Wieder deine Elfenkräfte?" - sie legte einen Finger auf ihre Lippen, "pssst!", einen Moment der Stille später, "Ich kann dich nur zum Gleis bringen und dir die Richtung zeigen; Einsteigen und Fahren musst du selbst."
"Ich werd dich vermissen - nicht wegen der Zaubersachen, sondern einfach nur, weil du so bist wie du bist." Es klang komisch, aber ich hatte das Gefühl, sie würde es richtig verstehen.
"Ich werd dich auch vermissen. Es hat Spaß gemacht, mit dir zu arbeiten!", sie lächelte dabei und ich versuchte, Tränen zu unterdrücken - Jungs weinen nicht.
Es schien ihr einfach nicht soviel auszumachen, ab morgen einfach nicht mehr da zu sein; das konnte ich irgendwie nicht verstehen.
"Was passiert dann mit dir?"
"Jemand wird beurteilen, wie ich war und wenn ich meine Sache gut gemacht habe, dann darf ich das irgendwo nochmal machen. Ähnlich wie bei euch!", der letzte Teil schien ihr so rausgerutscht zu sein. "Wie meinst du das?" - "Vergiss das am Ende!", ihr Blick wurde ernster, fast traurig.
Ich beschloss, darauf nicht näher einzugehen und sie stattdessen noch ein wenig aufzumuntern: "Also wenn ich da was zu sagen habe, hast du deine Sache ausgezeichnet gemacht. Soll ich dir noch eine Belobigung mitgeben oder sowas?"
Das brachte sie dann wieder zum Lachen. Sie wollte, dass ich ihr noch ein wenig erzähle - sie hatte so wenig Zeit gehabt, alles zu erforschen - und so erzählte ich ihr von meinem Leben vor unserem Treffen und von meinen Träumen für die Zukunft.
Wir redeten noch einige Zeit in die Nacht hinein, bis ich einschlief.

---

Grüße,

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Re: Tagesgefährten (aus dem PF/PE-Schreibwettbewerb)

Beitragvon Naruto » 15. November 2009 01:32

Ein paar Haltestellen vor der Schule musste sie dann aber doch ihren Platz
raumen, weil ich meinen geraumt habe { eine alte Dame war um die Uhrzeit
schon unterwegs und sonst ware halt kein Sitzplatz frei geworden.

autsch? xD Zeitkuddelmuddel :D
außerdem verwirrt mich die tatsache, dass der protagonist für eine alte dame aufsteht obwohl er am fenster sitzt.. ja okay sehr sozial :D aber hä? xD da sitzt doch normal noch einer am gang und die stehen doch dann auf - oder gibts bei euch andere busse? xD

Ich zeichnete ein trauriges Gesicht auf das Papier und sie sah mir
einen Moment in die Augen.

hah :x
tcc macht auch fehler :D ist so erstmal ein etwas lustiger satz. xD *das mal ausprobier*
edit: ach verdammt.. das stimmt ja doch. ich hatte das "sie" überlesen.. okay. sorry >_>

*fertiggelesen* hm ich kritisier immer verkehrtrum.. eigentlich kommt immer erst das gute.. nya xD
kann mich deo nur anschließen, sehr schöne geschichte :)
bildlich geschrieben man konnte sich schön reinversetzen trotz meiner fortgeschrittenen müdigkeit die ich jetzt auch bekämpfen gehen werde :)

ot: ach darum ging es in eurer wette.. xD
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Re: Tagesgefährten (aus dem PF/PE-Schreibwettbewerb)

Beitragvon TCCPhreak » 15. November 2009 10:40

Naruto hat geschrieben:
Ein paar Haltestellen vor der Schule musste sie dann aber doch ihren Platz
raumen, weil ich meinen geraumt habe { eine alte Dame war um die Uhrzeit
schon unterwegs und sonst ware halt kein Sitzplatz frei geworden.

autsch? xD Zeitkuddelmuddel :D

Also das Zeitkuddelmuddel sehe ich da jetzt nicht direkt drin. Sie musste etwas tun, weil ich etwas getan habe. Jemand war unterwegs und sonst (wenn ich nicht geräumt hätte) wäre etwas nicht geworden.. Lasse mir das aber gerne noch einmal erklären..

Naruto hat geschrieben:außerdem verwirrt mich die tatsache, dass der protagonist für eine alte dame aufsteht obwohl er am fenster sitzt.. ja okay sehr sozial :D aber hä? xD da sitzt doch normal noch einer am gang und die stehen doch dann auf - oder gibts bei euch andere busse? xD

Zum einen gibt es hier Busse, bei denen ein einzelner Platz zwischen Gang und Fenster ist (bei zwei Ausgängen am hinteren Ausgang; hinter dem Fahrer...), zum anderen stehen auch leider nicht immer die Personen am Gang auf.

Aber wenn Du sagen willst, dass die Szene mit der alten Dame grundsätzlich irgendwie "out-of-place" wirkt, hast Du sie durchschaut. ;-)

Grüße,

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Re: Tagesgefährten (aus dem PF/PE-Schreibwettbewerb)

Beitragvon Naruto » 15. November 2009 12:07

Naja du begründest eine handlung der vergangenheit mit einer aktion die in der gegenwart stattfindet - ich hätte geschrieben: "Ein paar Haltestellen vor der Schule musste sie dann aber doch ihren Platz
raumen, weil ich meinen geräumt hatte, denn alte Damen waren um die Uhrzeit auch schon unterwegs und ich war aus Nettigkeit für sie aufgestanden." oderso.. auf jeden fall ist "halt" umgangssprachlich und findet höchstens in wörtlicher rede verwendung - oder in einem text mit ausgeprägten ich-erzähler :) aber hier hört sich das eher fehl am platz an.
das "habe" klingt entweder wie gegenwart oder onjunktiv und beides passt halt irgendwie nicht..
oder aber mein lateinisch geprägtes zeitenbewusstsein täuscht mich da xP
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