Hallo,
kommen wir zum nächsten Buch. Dieses hat den Vorteil, dass mindestens eine Person hier im Forum da noch mehr zu erzählen könnte. Eventuell wäre sogar schon ein wenig Diskussion möglich.
Autorin: Maeve Carls
Name: Chat'n kill (ehemals auch Hot Line)
ISBN: 3934927246
Genre: Krimi (ehemals auch Internet-Thriller)
Wie bin ich zu diesem Buch gekommen:
Es gab eine Zeit, da war ich ziemlich verrückt nach Büchern, die das "neue Medium" Internet behandelten oder zumindest ansatzweise berührten. In der Jugendbücherabteilung des Campingplatzes tauchten immer wieder derartige Bücher auf und so hab ich über die Sommer die eine oder andere Geschichte dazu gelesen. Das Problematische daran ist: Viele dieser Bücher sind Mist!
Mal wird das Internet nur ganz nebenbei berührt - gerade so, dass man es als Buzzword mit auf das Cover schreiben kann - und mal verbuddelt sich das so tief darin, dass die eigentliche Geschichte außer Sicht gerät. Mal sind die technischen Methoden so abgedreht und unmöglich, dass sie schon lachhaft werden; und mal werden Möglichkeiten außer Acht gelassen, die einem auch als Anfänger sofort einfallen.
"Der Computer kann immer exakt das, was gerade gebraucht wird und versagt bei dem, was alles zu einfach machen würde. Da sich die Anforderungen von Episode zu Episode ändern, kann das schonmal seltsam wirken." (eine meiner Lieblingsstellen ist nach wie vor "Alpha-Wellen" aus "Die Adler aus dem Osten")
Mal wird die "neue Technik" dermaßen lang und breit und weichgekaut, dass man absolut ohne Vorkenntnisse anfangen kann und trotzdem nach dreißig Seiten alles versteht (was dann allerdings bedeutet, dass man mit ein wenig Vorkenntnissen das Buch nach Seite 25 vor Langeweile weglegen möchte) und mal werden die Aktionen und Möglichkeiten wie selbstverständlich angewendet (was wiederum Anfänger abschreckt - zu damaliger Zeit eine böse Einschränkung der Zielgruppe).
Vielleicht werde ich irgendwann auch nochmal über ein paar der schlechten Bücher berichten. Hot Line ist (meiner Meinung nach) keines davon.
Den Drahtseilakt zwischen "nichts erklären" und "alles erklären" meistert es auf eine sehr schöne Art und Weise - eine Hauptperson spricht die Erklärungen in Gedanken zu sich selbst, zitiert damit den informatiklehrer und macht sich zeitgleich über die detaillierte Beschreibung lustig. Als Anfänger saugt man diese Informationen gerne auf, als Fortgeschrittener amüsiert man sich mit ihm - bestimmt hat jeder von uns schon einmal Lehrer erlebt, die solche langweiligen und "selbstverständlichen" Dinge ewig lang ziehen können.
Die technischen Möglichkeiten sind realistisch und nachvollziehbar. Der verwendete Kummerkasten ließe sich über einfaches Formular erledigen; ein Webchat, bei dem die User nicht angezeigt werden und auch keine Nicknames brauchen, ist auch machbar. Vielleicht ist an der einen oder anderen Stelle die Realität doch ein wenig gestreckt - um der Story zu dienen - aber in diesem Punkt finde ich nichts zu kritisieren.
"Das Netz" ist plausibel in die Geschichte eingebaut. Es wird für die Story gebraucht - gerade die Anonymität garantiert den Erhalt der Gruppe - aber es findet doch genug Aktion in der Realität statt. Da gibt es keine wilden Hackerjagden durch virtuelle Welten; da muss man keine Viren abschießen, weil sich sonst eine künstliche AI im Kopfe eines Menschen einnistet - Der Mord ist real.
Genug zur Vorbereitung, kommen wir nun zur eigentlichen Geschichte:
Das Buch beginnt damit, dass eine Bäckerei in Flammen aufgeht. Schnell treffen auch die Schüler der umliegenden Schule ein, sehen den "Verlust" aber nicht ganz so schwer - aus Prinzip wurden sie darin nicht bedient.
Nachdem die Feuerwehr eingetroffen ist, löst sich auch die Schülergruppe auf. Einem Schüler - Gart - ist das ganz recht, er hat da noch ein Treffen mit vorerst unbekannten Leuten. Eine versteckte Lichtung, mitten in der Nacht. Es wird schon gesagt, dass er mehr oder weniger zu dem Treffen gezwungen wird, aber worum genau es geht, bleibt unklar.
Das Geheimnis nimmt Gart mit ins Grab - am nächsten Morgen wird er von einem Lehrer erhängt aufgefunden.
Selbstmord wird zunächst nicht ausgeschlossen - schließlich wusste niemand von dem Treffen - und auch wenn Mark (Enter: Hauptperson) die Polizei nicht für sonderlich fähig hält, macht ihm der Tod Sorgen - die Lichtung war Treffpunkt einer Gruppe von "Beschützern" die er hochgezogen hat - die weißen Ritter. Wenn nun jemand am "heiligen Baum der Ritter" hängt, lässt das gewisse Bedenken aufkommen - war es einer der Ritter?
Grundsätzlich sind die Ritter positiv. Auch wenn Herr Fischbach (der Lehrer) nichts von ihnen weiß, so resümmiert er zu Beginn doch, dass sich die ehemals sehr schlimme Situation an der Schule etwas zum Positiven gewandelt hat. Wahrscheinlich wären ihm die Ritter sogar sympatisch. Er selbst hatte sich mal physisch mit einem Drogendealer angelegt und wüsste er, dass letzlich die Ritter einen Lehrer, der zu intim mit Schülerrinnen wurde, vertrieben habe, würde es das wahrscheinlich gutheißen. Schwache Schüler werden vor Rowdys geschützt; Erwachsene, die sich den Schülern gegenüber zuviel herausnehmen, werden zurechtgewiesen und auch der Brand in der Bäckerei ging von den Rittern aus.
Im Kummerkasten (hier kann jeder Schüler schreiben, reguläre Anliegen werden über offizielle Wege weiterverfolgt; "ernstere" werden im Kreise der Ritter besprochen) hat Mark keine Beschwere zu Gart gefunden und möchte die Ritter gerne ausschließen. Ihm ist die Anonymität sehr wichtig (Wer dazugehört, ist unbekannt; bei Treffen werden weiße Kapuzengewänder getragen) und auch die Idee, dass die Polizei oder andere "Erwachsene" davon etwas erfahren könnten, missfällt ihm. Nicht alles, was sie tun, ist so legal und er als "König" müsste eventuell den Kopf hinhalten. Abgesehen davon scheint es unmöglich, diese Anonymität, auf die er so hingearbeitet hat, aufzuheben.
Doch je mehr er erfährt, desto eher scheint sich der Mörder unter ihnen zu verstecken. Letztlich stecken unter den Kapuzen doch Gesicht, die er nie darunter vermutet hätte...
Das Buch gefällt mir auch insofern sehr gut, dass es sich nicht auf eine Person beschränkt: Wir erfahren sehr viel über die Charaktere - grundsätzlich gibt es eigentlich keinen wirklich flachen Charakter. Zwar ist Mark die Hauptperson; das heißt aber nicht, dass man nicht auch hinterher genug über seine Familie, Schulkollegen usw. erfährt. Durchweg kommen die Charaktere auch glaubhaft rüber. Zudem gibt es den einen oder anderen Nebenplot - in der Ehe der Eltern läuft nicht alles glatt, die Familien haben so ihre internen Probleme, es wird von Affären gemurmelt, ...
Zuletzt aber hat mich das Buch auch bei mehreren Lesezyklen immer wieder überrascht. ich würde schon fast von versteckten Geheimnissen reden, die im Buch nur leicht angedeutet werden und erst deutlich werden, wenn man gezielt nach ihnen sucht. Die eine oder andere Sache wurde mir erst beim zweiten, dritten oder vierten Mal Lesen deutlich und bei einer Frage bin ich mir immer noch nicht sicher.
Textstellen müsste ich nachliefern, da ich das Buch gerade nicht dabei habe. Stellenweise ist es zynisch geschrieben (gerade bei Charakterperspektiven), stellenweise werden einige witzige Wendungen eingebaut. Es ist nicht schwer zu lesen, aber es steckt doch eine Menge drin.
Grüße,
TCC